Entscheidungen müssen familientauglich sein
Lesen Sie hier die Rede von Caritas-Präsident Peter Neher:In diesem Jahr bündelt der Deutsche Caritasverband seine Aktivitäten im Rahmen der dreijährigen Initiative "Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt" unter dem Slogan "Familie schaffen wir nur gemeinsam". Ein Thema, das wie kaum ein anderes zutiefst persönlich und hochpolitisch zugleich ist.
Zum Thema Familie kann ja auch wirklich jede und jeder berechtigt etwas sagen. Ob Menschen eine eigene Familie gegründet haben oder als Single leben, ob sie geglückte oder belastende Erfahrungen mit Familie haben, alle haben Väter und Mütter und sind Töchter oder Söhne. Die Familie ist auch dann Thema, wenn Kinder ihre Eltern früh verlieren oder, aus welchen Gründen auch immer, nie kennengelernt haben.
Das Thema Familie ist eines der beliebtesten und der umstrittensten Politik- und Wahlkampfthemen. Wenn man bedenkt, wie viele politische Themen "Familienthemen" sind, dann wird klar, dass es die Kampagne des Deutschen Caritasverbandes "Familie schaffen wir nur gemeinsam" in sich hat: Betreuungsgeld, Pflegezeit, Geburtenrate, Frauenquote, Zuschussrente, Kitaplätze. Mit dieser Kampagne haben wir uns also im Jahr der Bundestagswahl viel vorgenommen.
Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft
In der Familie werden die Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens vermittelt: Vertrauen, Solidarität und Verantwortung werden gelebt und erlernt. Eltern übernehmen für Kinder und Kinder übernehmen für Eltern Verantwortung. Familien sind Leistungsträger in einer Gesellschaft, die ein solidarisches und sozial gerechtes Zusammenleben ermöglichen will. Familien erbringen unverzichtbare Leistungen für ein gelingendes Heranwachsen der nächsten Generation und somit für die Gesellschaft als Ganzes. Kurzum: Familie ist die Keimzelle unserer Gesellschaft.
Gefragt ist eine solidarische Politik für Familien
Das bedeutet auch: "Familie schaffen wir nur gemeinsam." Diese Botschaft gilt für die Kernfamilie und für die Familie als Kern unserer Gesellschaft. Familiäre Erziehungs- und Sozialisationsleistungen müssen deshalb leistungsgerecht unterstützt, familiäre Belastungen gesamtgesellschaftlich "fair" verteilt werden.
Gefragt ist eine solidarische Politik, die deutlich macht, dass die Unterstützung von Familien eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Familienpolitik muss Querschnittspolitik werden. Entscheidungen in der Steuer- und Rentenpolitik, in der Wohnungs-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik müssen das Kriterium der Familientauglichkeit erfüllen. Familien sind auf konkrete Solidarität in ihrer Umgebung angewiesen und auf Leistungen der Politik in Kommunen, Ländern und auf der Bundesebene.
Dazu gehört eine Gesetzgebung, die Eltern- und Pflegezeiten ermöglicht; Arbeitgeber, die Teilzeitarbeitsplätze nicht als Karriere-Ende ansehen; eine Kinderbetreuung, die den Wunsch nach Familie und Beruf unterstützt. Das heißt: Familien brauchen Zeit, Geld und eine gute Infrastruktur. Hier besteht in Deutschland Verbesserungsbedarf - ohne zu schmälern, was geschehen ist.
Arbeitsmarkt muss familienfreundlicher werden
Der 8. Familienbericht der Bundesregierung hat deutlich gemacht, was Eltern wollen und was Eltern fehlt: Zeit. Nur ein Viertel aller Familien in Deutschland hat so viel Zeit füreinander, wie sie es sich wünschen.Die Zeit in und mit der Familie wird stark durch die Arbeit bestimmt. Die Aufgabe in vielen Familien besteht darin, Erwerbsarbeit und Familienleben in eine bessere Balance zu bringen. Denn Männer und Frauen wollen beides: Zeit für die Familie und eine erfüllenden Beruf. Doch die Notwendigkeit beruflicher Flexibilität und Verlässlichkeit für die Familie wird für viele zur täglichen Herausforderung. Warum also nicht mehr Zeit für die Familie, wenn die Kinder heranwachsen und danach wieder mehr Zeit für den Beruf, wenn diese Phase durchlebt ist? Hier sind die Arbeitgeber gefordert. Nicht die Familien müssen arbeitsmarktgerechter, sondern der Arbeitsmarkt muss familienfreundlicher werden. Der Politik kommt die Aufgabe zu, durch entsprechende Rahmensetzung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen.
Über die wirtschaftliche Lage von Familien in Deutschland kann kaum Allgemeingültiges gesagt werden. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen und die konkreten Lebenskonstellationen. Generell ist festzuhalten: Mit der Geburt von Kindern oder im Falle der Pflegebedürftigkeit von Angehörigen sinkt oft das verfügbare Familieneinkommen. Entweder reduziert ein Partner die Erwerbstätigkeit, oder die Erziehung bzw. Pflege wird von Dritten übernommen, die bezahlt werden müssen, wenn keine anderen Familienangehörigen zur Verfügung stehen. Staatliche Leistungen für Familien haben das Ziel, Einkommenseinbußen bzw. besondere finanzielle Belastungen abzufedern.
Arbeitende Eltern können auch gute Erzieher ihrer Kinder sein
Die wichtigste Basis für die Finanzierung des Familienlebens ist jedoch eine Berufstätigkeit, die ein auskömmliches Einkommen sicherstellt. Befristete Arbeitsverträge, unfreiwillige Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit und Niedriglöhne wirken dem entgegen. Finanzielle Engpässe und Auseinandersetzungen um das Familienbudget belasten die Beziehungen in der Familie und sind ein häufiger Grund für Trennung und Scheidung. Alleinerziehende sind hier oftmals besonders belastet, weil mangelnde Betreuungsplätze die Suche nach einem Arbeitsplatz erschweren oder gar unmöglich machen.
Eine Studie des Bundesinstitutes für Familienforschung hat gezeigt, dass wir mit Blick auf die Familie ein grundsätzliches Umdenken brauchen. Das ist nicht allein mit Geld zu machen. Dabei denke ich an einen Abschied vom Anspruch an ein perfektes Umfeld; an die wachsende Einsicht, dass arbeitende Mütter und Väter zugleich gute Erzieherinnen und Erzieher für ihre kleinen Kinder sein können und an die Bereitschaft der Gesellschaft, das Lärmen und Toben von Kindern nicht als Störung, sondern als Musik in den Ohren einer kinderfreundlichen Gesellschaft zu begreifen.
Familien mit wenig Einkommen unterstützen
Der Deutsche Caritasverband wird sich im kommenden Bundestagswahlkampf dafür einsetzen, dass sich die Parteien diese Ziele zu Eigen machen: Familien mit wenig Einkommen zu unterstützen; Arbeits-, Erziehungs- und Pflegezeiten abzustimmen; eine gute Infrastruktur für Familien zu schaffen und die Eltern- und Familienbildung zu stärken. Es ist viel passiert seit der Zeit, da Familienpolitik noch als "Gedöns" abgetan wurde. Es muss aber noch viel passieren, damit Familienpolitik wirklich alle Handlungs- und Politikfelder berührt und die Gesellschaft in der wir leben, verändert. Dazu will die aktuelle Jahreskampagne der Caritas einen Beitrag leisten.
Prälat Dr. Peter Neher
Caritas-Präsident